Das Smartphone einfach mit dem eigenen Gesicht entsperren: Die automatische Gesichtserkennung ist längst im Alltag angekommen. Aber wie weit ist facial recognition schon? Schneidet diese Technik Grundrechte ein oder ist sie ein legitimes Mittel, um Verbrecher aufzuspüren? Das alles gibt es in der neuen Folge Pioniergeist.
Austin, Texas. 1995. Ein alter Mann sitzt in einem Rollstuhl, gezeichnet von der Krankheit ALS. Es ist Woody Bledsoe, so etwas wie der Vater der automatischen Gesichtserkennung. Was da verbrennt, das sind Unterlagen. Woody Bledsoe, zu dem Zeitpunkt 74 Jahre alt, lässt seinen Sohn Lance Papierstapel ins Feuer werfen und verbrennen. So zumindest beschreibt Lance diese Szene dem Magazin wired. Dort erzählt er, dass Woody ihn davor zwei große, mysteriöse Aktenschränke öffnen lässt: Feuersicher, schwer, mit Kombinationsschlössern gesichert. Woody schreibt Zahlen an eine Tafel: Tatsächlich. Mit dieser Kombination öffnen sich die Schubladen. Lance erzählt: Diese Art von Aktenschränken hatte er schon einmal gesehen. Nämlich als er an Sonargeräten für US-Atom-U-Boote gearbeitet hatte. Lance übergibt die alten Unterlagen an seinen Vater – der lässt ihn alles restlos verbrennen. Einige Papiere seien markiert gewesen mit Kommentaren wie classified oder eyes only.
Lance konnte nur ahnen, was er da vor etwa 25 Jahren in einer Garage in Austin, Texas, in den Händen gehalten und verbrannt hat. Woody hat mit seiner Forschung die Grundlagen für automatisierte Gesichtserkennung gelegt. Er soll auf diese Arbeit stolz gewesen sein, aber weil die Finanzierung zur Forschung an Gesichtserkennung von einem namenlosen Geheimdienst bereitgestellt wurde, wurde nur wenig von seiner Arbeit veröffentlicht.
Fast drei Jahrzehnte lang war Woody Professor an der University of Texas in Austin. Sein Spezialgebiet: Automatisiertes Denken und künstliche Intelligenz. Woody Bledsoe hatte schon früh eine Vision: Computern die Fähigkeit geben, Gesichter zu erkennen und zuzuordnen. Seine früheste Forschung über Gesichtserkennung zog damit auch die Aufmerksamkeit der US-Regierung auf sich. 1960 gründete Woody Bledsoe zusammen mit zwei Partnern Panoramic-Research in Palo Alto, Kalifornien. Der Großteil ihrer Aufträge zu künstlicher Intelligenz hatten prominente Auftraggeber: Das US-Verteidigungsministerium und verschiedene Geheimdienste. Hatte Lance also gerade Beweise für Washingtons erste Versuche verbrannt, einzelne Personen automatisiert und massenhaft zu erkennen?
Deutschland, 2020. Automatisierte Gesichtserkennung ist heiß begehrt von Geheimdiensten, Regierungen, Firmen, der Werbeindustrie. Woran Woody Bledsoe in den 1960ern geforscht hat, hat sich rasant weiterentwickelt. Gesichtserkennung ist ein Sicherheitsfeature – um Telefone zu entsperren, die oder um die Passkontrolle an der Grenze zu automatisieren. Freunde auf Instagram markieren? Ein Kinderspiel mit Gesichtserkennung. Aber es ist auch ein willkommenes Werkzeug, um Menschen gezielt zu überwachen. In China nutzt die Regierung die Gesichtskennung, um Uiguren zu identifizieren und zu verfolgen. Hunderttausende hat die chinesische Regierung so in Lager gesperrt.
Vor wenigen Wochen dann der große Aufschrei: Clearview, eine Firma in New York behauptet: Wir haben eine Datenbank mit drei Milliarden Bildern von Menschen. Eine gewaltige Menge an persönlichen Daten, abgefischt ohne explizites Einverständnis dieser Menschen aus dem Internet: Facebook, Twitter, Instagram und weitere Plattformen sind betroffen. Bisher nutzen wenige Unternehmen und Strafverfolgungsbehörden in den USA ihren Dienst. Clearview will eine App auf den Markt bringen, bei der Nutzer nur ein Bild hochladen können – und schon spuckt ihnen die App aus, welche Person dahinter steckt.
Aber wie weit ist facial recognition schon? Und wie weit soll automatische Gesichtserkennung gehen? Schneidet sie Grundrechte ein? Ein legitimes Mittel, um Verbrecher aufzuspüren?